Die Ausschaffung von Personen mit rechtskräftigem Wegweisungsentscheid und die damit zusammenhängende Weitergabe von medizinischen Daten ist seit Jahren ein Thema für die Zentrale Ethikkommission (ZEK) der SAMW. Der Wunsch der Behörden nach einer effizienten Durchführung der Ausschaffung darf die medizin-ethischen Verpflichtungen der Ärztinnen und Ärzte, insbesondere bezüglich Berufsgeheimnis, nicht untergraben.
Aufgrund der gesetzlichen Änderungen, die im Mai 2022 in Kraft gesetzt wurden, liegt die Verantwortlichkeit für den Entscheid der Transportfähigkeit neu ausdrücklich und ausschliesslich bei der vom Staatssekretariat für Migration (SEM) beauftragten Arztperson und nicht bei der/dem behandelnden (Gefängnis-)Arzt/Ärztin. Es dürfen nur medizinische Daten weitergegeben werden, die für den Vollzug der Ausweisung wirklich notwendig sind.
Die Weitergabe erfolgt also von Arzt zu Ärztin, nicht an die Behörden. Dabei soll das Arztgeheimnis respektiert werden. Idealerweise liegt die Einwilligung zur Datenweitergabe vor. Falls sie verweigert wird, ist trotz der neuen Gesetzes- und Verordnungsbestimmung dringend empfohlen, die Entbindung vom Arztgeheimnis durch die vorgesetzte Behörde einzuholen.
Ein gemeinsam von der SAMW, der FMH und der Konferenz der Schweizer Gefängnisärzte (KSG) in der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) veröffentlichter Artikel gibt einen Überblick über diese Änderungen und das konkrete Vorgehen.
Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ): Patientendaten im Wegweisungsvollzug (22.06.2022)
Liste der Kontraindikationen
Um zu beurteilen, ob Kontraindikationen vorliegen, steht Gefängnisärztinnen und -ärzten die vom SEM publizierte Liste «Medizinische Kontraindikationen für zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg» zur Verfügung (Download unten). Das Dokument fasst die wichtigsten für Flugreisen relevanten Diagnosen zusammen.
Allfällige Kontraindikationen können mittels Formular «Ärztlicher Bericht im Rückkehrbereich/Wegweisungsvollzug» (Download unten) übermittelt werden. Das Formular wurde von der SAMW, FMH und der KSG ausgearbeitet und steht auf der SAMW-Website auch englisch, französisch und italienisch zur Verfügung. Zahlreiche weitere Sprachen können beim SEM angefordert werden.
Der (Gefängnis)-Arzt darf die Informationen zu Kontraindikationen nur weiterleiten, wenn die Einwilligung der betroffenen Person vorliegt. Wird die Entbindung vom Arztgeheimnis verweigert, obwohl Kontraindikationen vorliegen, kann die vorgesetzte Behörde den Arzt auf Gesuch hin vom Arztgeheimnis entbinden. Das Prozedere wird im Anhang G der SAMW-Richtlinien «Ausübung der ärztlichen Tätigkeit bei inhaftierten Personen» beschrieben.
Zwangsanwendung von Covid-19-Tests bei Ausreisepflichtigen
Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie sind Akteurinnen und Akteure des Gesundheitssystems mit neuen Herausforderungen und Fragestellungen konfrontiert. Dies gilt auch im Umgang mit Ausreisepflichtigen. Ende Juni 2021 hat der Bundesrat über die beabsichtigte rasche Einführung einer Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) bezüglich Covid-19-Tests informiert. Die Änderung sieht vor, dass Covid-19-Tests auch gegen der Willen der betroffenen Person durchgeführt werden können.
So wie diese Gesetzesänderung im Entwurf zuhanden des Parlaments formuliert ist, verletzt sie berufsethische Grundpfeiler der Medizin. Bei aktiver Gegenwehr der betroffenen Person besteht zudem ein Verletzungsrisiko, das durch die Medizinalfachperson auf Verhältnismässigkeit geprüft werden muss. Dies hatte die Zentrale Ethikkommission (ZEK) der SAMW und die KSG bewogen, eine Stellungnahme zu verfassen, um die Revision aus medizinischer, ethischer und juristischer Sicht einzuordnen und eine Handlungsempfehlung für Gesundheitsfachpersonen zu formulieren. Die Stellungnahme wurde in der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) veröffentlicht.
Zwei Rollen der Ärzteschaft
Ärztinnen und Ärzte, die zwangsweise Rückführungen von Personen begleiten und deren Reisefähigkeit beurteilen, übernehmen eine Expertenfunktion. Eine andere Rolle haben sie bei der medizinischen Betreuung von Patienten in Ausschaffungshaft: Im Hinblick auf eine geplante Zwangsrückführung stellen sie allfällige Kontraindikationen fest, die einer Rückführung entgegenstehen. Sie sind aber nicht zuständig für die Beurteilung der Transportfähigkeit.
Zu diesen zwei Rollen bzw. zu möglichen Loyalitätskonflikten von Gefängnisärztinnen und -ärzten äusserte sich die Zentrale Ethikkommission ZEK bereits in ihrer Stellungnahme 2013. Die in dieser Stellungnahme formulierten Forderungen und Anliegen behalten im Wesentlichen trotz der Änderungen der Rechtslage im Jahr 2022 ihre Gültigkeit.